Untertitel: Der Versuch, eine phantastische Morgenstimmung einzufangen.
Ach, was soll man davon halten? Irgendwie ist die Nacht um 04:00 Uhr rum. Emil meckert ein bisschen und ich lagere ihn um. Dann noch kurz auf Toilette. Nicht selten, so auch heute, ist damit die Nachtruhe gelaufen. Ich lege mich zurück ins Bett, versuche vergeblich wieder einzuschlafen und nehme mir letztendlich das Telefon in die Hand, um zu gucken, ob in der Welt schon irgendwas interessantes passiert ist. Schon klar, dass dem Schlaf damit der Todesstoß versetzt wird. Nach völlig sinnbefreitem Rumscrollen auf den Seiten des Netzes entscheide ich mich gegen viertel nach fünf dazu, Kaffee zu kochen. Und gleichzeitig kommt mir die Idee, den dann unten am Steg zu trinken. Carina, die mich aus einem halbgeöffneten Augen anblinzelt, bekomme ich nicht dazu überredet mitzukommen. Klar. Wenn ich schlaftrunkend unter einer gemütlichen Decke liege, könnte ich mich auch nicht aufraffen, das Bett zu verlassen, mich anzuziehen und vor das Haus zu treten. Also schmeiß ich die giftgrüne Moccamaster an, ziehe mir Hose und Hoodie an und befinde mich kurze Zeit später mit einer frischen Tasse Kaffee auf dem Weg runter zum Steg. Ich wundere mich kurz. Es hat heute Nacht wohl geregnet, denn alles ist feuchter als es vom Tau her rühren könnte. Zum Glück habe ich noch eine alte Papprolle in meiner Hose (klar, schleppt man ja immer so mit sich rum!) mit der ich einen Stuhl grob trocknen kann. Und so sitze ich nun auf einem Stuhl auf einem Steg an einem Meer mit einem Kaffee und genieße die Ruhe. Wobei, hahaha, Ruhe herrscht ja gar nicht! Vor mir liegt die glatte Ostsee, am Himmel kleinste Schäfchenwolken, klare Sicht und die Sonne zieht sich gerade rechts von mir im Osten über den Horizont. Menschliche Geräuschquellen sind tatsächlich nicht vorhanden. Keine Autos, kein Trecker, kein Bagger, wie gestern. Kein Flugzeug, Hubschrauber, Motorboot. Nix. Äußerst idyllisch!
Aber: Die Natur ist schon da. Und wach. Natur kennt keinen Sonntag, keine Ruhezeiten. Auf und an der See herrscht schon ein buntes und lautstarkes Treiben. Am leisesten sind da noch die Fische. Die sind auch schon sehr aktiv und machen Luftsprünge. Ob vor Freude oder aufgrund der tieffliegenden Mücken weiß ich jetzt nicht. Ich hoffe auf ersteres, denke aber letzteres. Und ansonsten sind hier Vögel. Viele und unterschiedliche Vögel. In mannigfaltiger Gruppengröße. Hinter mir ist seit Tagen ein einzelner Specht zu hören. Kein aufdringliches Höhlenbaugehämmer. Eher so ein leises Klopfen an der Tür nach dem Motto „Hallo Familie Made! Lust auf ein gemeinsames Frühstück?“. Okay. Fische und Specht würden den Bereich „Ruhe“ abdecken. Aber dann sind da noch mehrere Gruppen von Komoranen, Gänsen und Krähen. Während draußen auf dem Wasser mehrere Ansammlungen von nicht zuordnungsfähigen Vögeln ruhig ihre Bahnen ziehen, sitzen ca. 100m weiter die zuvor genannten Kameraden und veranstalten einen frühmorgendlichen Gospelgottesdienst mit großem „Hallo“ und „Praise the lord!“ Dauerndes Geschnatter und Losfliegen einzelner Kleingruppen. Dazu eine Gruppe Krähen auf Dach und Schornstein eines benachbarten Hauses, die sich dem Gegacker nach schmutzige Witze erzählen oder sich über die Komorane lustig machen, da sie immer „so doof mitti aufen Flügel da auffe Steine sitze! Krahahaha!“. Immer wieder ziehen Formationen von schnatternden Gänse über mir her. Vielleicht sind das Flugschulen, die Kurse für Winterflüge anbieten. Vorne und hinten jeweils ein Fluglehrer, welche Instruktionen wie „Achtung! Bitte auf den strömungstechnisch sinnvollen Versatz zur Vordergans achten, Leute! Ihr wollt doch nicht schon Höhe Osnabrück schlapp machen! Da sind die Füchse jedes Jahr auf neue bisswütig und ausgehungert! Auf! Auf! Konzentration!“
Dann sind da noch unzählige Schwalben, die auf dem Fang von Mücken knapp über das Wasser gleiten. Still, aber sehr schnell und durcheinander. Und immer wieder einzelne Enten, die die Textzeile „Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh‘ “ umsetzen.
Unter‘m Strich ein besonderer Moment für den ich dankbar bin, ihn erleben zu dürfen. Ich winke dem immer noch zelebrierten Gottetsdienst zu, sage dem Specht „Bis später!“ und gehe zurück ins Haus. Kaffee ist alle.